Wohnungslosigkeit von Frauen mit und ohne Kinder in Berlin: Was kann die Politik tun?

Da es in Deutschland keine gesetzliche Wohnungslosenstatistik und keine Wohnungsnotfallberichterstattung gibt, können das Ausmaß der Wohnungslosigkeit sowie die soziale Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppe nur geschätzt werden. In 2010 betrug der Anteil der wohnungslosen Frauen laut Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit (DzW) der BAG Wohnungslosenhilfe e. V. 24,2 %. Insgesamt schätzt die BAGW den Frauenanteil an den wohnungslosen Menschen in Deutschland auf 26 %.

Die Schätzung wird schwieriger, da wohnungslose Frauen meistens nicht öffentlich sichtbar auf der Straße leben, sondern ohne eigene mietrechtliche Absicherung bei Bekannten oder Verwandten. In dieser Situation befinden sie sich unter hohem Anpassungsdruck und in großer Abhängigkeit. Es besteht ständig die Gefahr, dass sie bei Konflikten mit den Unterkunftsgebern aus der Wohnung vertrieben werden oder sie vor Gewaltanwendung fliehen müssen (allein oder mit Kindern). Oftmals suchen sie dann, um nicht auf der Straße leben zu müssen, neue „Wohnungsgeber“. Dadurch sind häufig wechselnde unsichere Unterkünfte kennzeichnend für die Lebenslagen wohnungsloser Frauen. Die Frauen, denen nichts als die Straße bleibt, sind permanent der Gefahr physischer und psychischer Angriffe ausgesetzt. Sie versuchen sich davor zu schützen, indem sie ihre Situation zu verbergen versuchen, sei es durch entsprechendes Verhalten und Kleidung oder eben durch die prekäre und z.T. gefahrvolle Unterkunft bei anderen. 

Wohnungslose Frauen, die der Prostitution nachgehen, leben in den Häusern ihrer Zuhälter. Oder sie werden durch ihre ebenfalls wohnungslosen Partner zur Prostitution gezwungen. Dies kann auf der Straße der Fall sein, aber auch in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. In jedem Fall sind sie extremer Unterdrückung, Gewalt und Beschneidung ihrer Freiheit ausgesetzt. Sie haben somit keinen Zugang zum herkömmlichen Hilfesystem und zur persönlichen Hilfe. Das Hilfesystem für Wohnungslose muss stärker als bisher die Belange und die Schutzbedürfnisse von Frauen in den Blick nehmen. Denn es zeigt sich, dass die Ursachen und Erscheinungsformen von Wohnungslosigkeit bei Frauen und Männern unterscheiden. Daher unterscheiden sich auch die Bedarfe wohnungsloser Frauen von denen der Männer.

Problemsituation der Wohnungslosenhilfe für Frauen:

Weder in den Leitlinien der Wohnungslosenhilfe noch in der Realität finden die Bedarfe der wohnungslosen Frauen nach besonderem Schutz für sich und ihre Kinder Berücksichtigung.

In den Leitlinien wird die Notwendigkeit zielgruppenorientierter Beratungs- und Betreuungsmaßnahmen betont. Tatsache ist jedoch: Beratungsstellen ausschließlich für wohnungslose Frauen sind in Berlin sehr rar gesät. Und das vorhandene Angebot an Beratungsstellen für Männer und Frauen stellt keine gesonderten Zeiten, nur für Frauen, zur Verfügung.

Da viele Frauen körperliche und sexuelle Gewalt erfahren mussten, haben sie ein Anrecht auf ein Hilfesystem ohne Gefahr der sexuellen Belästigungen und der sexuellen Gewalt, das ihnen die Chance bietet, ihre Gewalterfahrungen zu thematisieren.

Dabei sollten den Frauen Tagesaufenthalte und Notübernachtungen bereitgestellt werden, die ausschließlich Frauen vorbehalten sind. Frauen brauchen die Option, von Sozialarbeiterinnen beraten und betreut werden zu können, die die Lebenssituation wohnungsloser Frauen kennen. Nur so wird es den betroffenen Frauen erleichtert, ihre Probleme, z.B. Gewalterfahrungen, sexueller Mißbrauch, Angst vor Trennung etc. anzusprechen. Die Wohnungsloseneinrichtungen für wohnungslose Frauen müssen in ihrer Konzeption die weiblichen Verläufe und Bewältigungsmuster von Wohnungslosigkeit ausreichen berücksichtigen. Das wörtlich zu nehmende Sicherheits- und Autonomiebedürfnis der betroffenen Frauen muss gewährleistet sein. 

In Einrichtungen, in denen auch Männer leben, erleben Frauen immer wieder psychische und physische Angriffe und somit keinen Schutz. Zudem ist die Hemmschwelle für Frauen, diese Einrichtungen überhaupt aufzusuchen, immens hoch. Einrichtungen, die auf die Bedarfe von Frauen und Kindern zugeschnitten sind, stehen nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung.

Auch greifen in Unterkünften und Wohnheimen nicht die rechtlichen Möglichkeiten des im Jahr 2002 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetzes, d.h. die Wegweisung einer gewalttätigen Person und eine befristete Überlassung der Unterkunft sind auf dieser gesetzlichen Grundlage nicht möglich. 

Insbesondere für Frauen und Kinder sind keine besonderen Vorkehrungen getroffen worden. Es besteht kein besonderer Schutz für Frauen und/oder Kinder in gemischten Einrichtungen mit Männern und Frauen. Es ist für die meisten Frauen, insbesondere für von Gewalt betroffene Frauen, nicht akzeptierbar, zusammen mit Männern in niedrigschwelligen Einrichtungen untergebracht zu werden. Doch die Platzkapazitäten in frauenspezifischen Einrichtungen sind bei Weitem nicht ausreichend. So bieten Träger wie GEBEWO pro gGmbH, AWO Berlin Wohle Spree und Sozialdienst Katholischer Frauen e.V. Berlin jeweils 9-10 Plätze ausschließlich nur für Frauenunterbringungen an.

Es müssen dringend mehr frauenspezifische Einrichtungen geschaffen werden – keine Frage darf abgewiesen werden und schutzlos oder unversorgt bleiben!

In der Überarbeitung der Leitlinien für Wohnungslosenhilfe in 2018 und 2019 sehen wir die Chance, die Aufmerksamkeit für die Gruppe wohnungsloser Frauen zu schärfen und Prinzipien des Gendermainstreaming für das Handeln des Senats und aller anderen beteiligten Akteure auf dem Gebiet der Wohnungslosenhilfe verbindlich festzuschreiben.

Die besondere Schutzbedürftigkeit der Zielgruppe von Frauen mit ohne Kinder muss sich in allen Teilen der Leitlinien widerspiegeln; im Bereich der Prävention von Wohnraumverlust ebenso wie in den Bereichen der Beratung und Unterbringung von wohnungslosen Frauen mit und ohne Kinder. Der Reintegration von Frauen mit Gewalterfahrungen und alleinerziehender Frauen sollten Priorität eingeräumt werden.  

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